„Allyship“ ist mehr als Solidarität

SPRITZENAUTOMATEN – Ein Angebot das Sinn macht

In allen unseren Städten gibt es Menschen, die Drogen nehmen und dringend saubere Spritzen und sterile Utensilien brauchen, um sich vor Krankheiten wie Hepatitis und HIV zu schützen. Leider gibt’s immer noch viele Vorurteile und wenig Verständnis für Spritzenautomaten, obwohl sie wirklich lebensrettend sein können und nicht den Drogenkonsum fördern. Wenn wir alle ein bisschen helfen, zum Beispiel indem wir Kleingeld wechseln,  bei der Pflege der Automaten mitmachen oder nur mit den Nachbar*innen der Automaten ins Gespräch kommen, um Aufklärung zu betreiben und Vorurteile abzubauen, dann können wir alle Allys sein! 

Alle Infos zur Allyship Kampagne unter https://www.ichbindran.de/drogen

CLAUDIA im INTERVIEW

Claudia, was machst du beruflich?

Ich arbeite im IT-Support bei einer Marketingagentur. Aber in meiner Freizeit engagiere ich mich bei JES.

Was ist JES?

JES steht für „Junkies, Ehemalige und Substituierte“. Das ist ein akzeptierendes Drogenselbsthilfenetzwerk, das sich für die Rechte von drogengebrauchenden Menschen einsetzt – politisch, aber auch ganz praktisch.

Unser Name soll deutlich machen, dass der Konsum von Drogen nicht grundsätzlich negativ ist, dass das Leben in den Drogenszenen nicht nur schwierige, zerstörerische Seiten hat und dass eine Abhängigkeit von psychoaktiven Substanzen nicht immer zu einer Behinderung werden muss.

Drogengebraucher*innen besitzen, wie alle anderen Menschen, ein Recht auf Menschenwürde. Sie brauchen es sich nicht erst durch abstinentes und angepasstes Verhalten zu erwerben.

Wie sieht dein Engagement aus?

Ich koordiniere die Südschiene, also die JES-Gruppen in den südlichen Bundesländern.  Die einzelnen Gruppen sind ein Ort für Erfahrungsaustausch, der sozialen Kontakte und bieten praktische Alltagshilfen. Sie führen Infoveranstaltungen durch. Es geht immer um ein menschenwürdiges Leben ohne Diskriminierung, Stigmatisierung und Benachteiligung. Die Gruppen sind die Basis des Netzwerks.

Der JES Bundesverband ist Interessenvertretung und setzt sich für unsere politischen Ziele ein. Es geht immer um eine Neuordnung der Drogenpolitik, um eine Abkehr vom Abstinenzideal und der Beendigung der Prohibition. Es geht um Respekt und Akzeptanz gegenüber der Entscheidung mit oder ohne Drogen leben zu wollen. Es geht um eine gute Substitutionsversorgung, um Drug-Checking, Originalstoffvergabe, gute medizinische Versorgung, Mehr Konsumräume, bessere Versorgung in Haft. Die Liste ist endlos – leider. Wir entwickeln Kampagnen z.B. für mehr Substitutionsärzt*innen, geben eine regelmäßige Zeitung, den Drogenkurier raus und haben den Gedenktag für verstorbene Drogengebrauchende etabliert, den 21.Juli. Das ist 25 Jahre her und in vielen Städten organisieren die JES-Gruppen an diesem Tag Veranstaltungen, Kundgebungen und andere Aktionen.

In meiner Arbeit bin ich das Bindeglied zwischen dem Bundesverband und den regionalen Gruppen und sorgen für den Informationsfluss.

Da bist du aber schon jeden Tag mit beschäftigt, oder?

Ja, manchmal mehrere Stunden. Aber das ist ok, ich kann das ganz gut unterbringen und ich reise gerne.

Wie bist du zu deinem Engagement gekommen?

Ich war 1991 schon mal bei JES aktiv. Damals habe ich aber noch aktiv täglich konsumiert und habe das irgendwann nicht mehr hinbekommen. Seit 2018 bin ich wieder dabei. Inzwischen mache ich das so gerne, dass ich das nicht mehr aufgeben möchte.

Was sind das sonst für Leute bei JES?

Das ist ganz unterschiedlich. Die Abkürzung steht ja für Junkies, Ehemalige und Substituierte, das trifft es eigentlich ganz gut. Viele sind aber Substituierte, weil man erst dann wirklich Zeit hat, sich um etwas zu kümmern. Wenn du jeden Tag deinen Konsum sicherstellen musst, geht das nicht.

Die Diskriminierungserfahrungen von Drogengebrauchenden sind vielfältig. Wo begegnet dir im Alltag Diskriminierung?

Zum Beispiel in der Apotheke oder im Kontakt mit medizinischen Fachangestellten. Mal erhält man den letztmöglichen Termin in der Praxis. Auch Apotheken sind ein Ort wo substituierte Menschen Diskriminierung erfahren können, wenn sie z. B. im Beisein anderer Kund*innen ihr Medikament öffentlich einnehmen müssen und die Einnahme auch noch vor den Augen aller kontrolliert wird. Ein Mitglied aus einer JES-Gruppe in Berlin erzählte uns, dass die Apotheke um die Ecke sein Methadon-Rezept nicht einlösen wollte, weil man ihn nicht als Kunden haben wollte. Und das in Berlin!

Auch werden oft Schmerzen z. B. in der Notaufnahme nicht wirklich ernst genommen. Das Personal ist dann der Meinung, man wolle eigentlich nur an starke Schmerzmittel kommen.

Ich selbst konsumiere medizinisches Cannabis aufgrund einer chronischen Erkrankung. Das bekomme ich von meiner Schmerztherapeutin verschrieben und die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Das zählt aber nicht, für viele bist du eben die Drogensüchtige. Im Notfall im Krankenhaus etwa würde ich das gar nicht mehr erwähnen.

Wo wirst du selbst konkret zur Ally?

Mein Ex-Mann ist Drogengebraucher und türkischer Staatsbürger. Er wird auf dem Sozialamt immer wieder schlimm diskriminiert. Da hat er schon gesagt bekommen, dass er hier überhaupt kein Geld mehr bekommen würde, er würde das ja sowieso nur für Drogen ausgeben. Dafür gab es aber keinen Zeugen. Deshalb fahre ich einfach mit, damit es gegebenenfalls eine Zeugin gibt.

Wo würdest du dir manchmal mehr Zivilcourage von anderen wünschen?

Ich laufe morgens um halb neun vom Hotel Richtung DAH und sehe auf dem Weg dorthin, wie ein Mann einen anderen Mann mit einer abgebrochenen Glasflasche bedroht. Da ich bei sowas nur sehr schlecht nichts machen kann, habe ich angefangen zu schreien und bin dahin gerannt. Dadurch hat der Mann mit der Glasflasche aufgehört und ist weggelaufen. Während des Rennens bin ich an mehreren Passanten vorbeigekommen, die alle mit ihren Handys gefilmt haben. Und genau da würde ich mir mehr Zivilcourage von anderen wünschen. Man muss ja nicht unbedingt hinrennen, ich kann verstehen, dass Menschen da Angst haben. Aber man kann schreien, die Polizei rufen usw. Ich meine, warum filmt man sowas und schaut dabei zu?